Johannus Vivaldi 260/360 - Testbericht aus OKEY Ausgabe 184 (Mai/Juni 2025)
Mit den beiden neuen Orgelmodellen Vivaldi 260 und 360 hat der niederländische Digitalorgelbauer Johannus unlängst eine seiner erfolgreichsten Modellreihen erneuert. OKEY classic Chefredakteur Hans-Dieter Karras schildert im Testbericht seine Eindrücke von der neuen Johannus Vivaldi Generation.

ie neuen beiden Vivaldi-Orgeln setzen die Tradition dieser beliebten Instrumentenserie von Johannus mit Erfolg fort. Der Hersteller setzt in der Klangerzeugung weiterhin auf das Sampling, und das in einer so hochwertigen Qualität, dass hier wohl die Grenze des Möglichen bei einem Serieninstrument ausgereizt wurde. Damit bildet die Vivaldi im Johannus-Portfolio durchaus einen gewissen Gegenpol zur anderen erfolgreichen Serie bei Johannus, nämlich der LiVE. Während bei der LiVE eine eigene Interpretation der Software-Orgel mit nachladbaren Samplesets zugrunde liegt, sind in der Vivaldi sechs hochwertige neu aufgenommene Samplesets fest integriert. Sicher basieren einige davon durchaus auf dem Material für die LiVE-Modelle. Die Samples in der neuen Vivaldi sind beeindruckend und vermitteln ein sehr authentisches Klangerlebnis. Johannus nennt die für die Vivaldi verwendete neue Aufnahmetechnologie „High Definition Spatial Sampling“ (HDSS). Dabei werden laut Hersteller die Pfeifen in allen Nuancen mit mehreren Mikrofonen aufgenommen, so dass mehr Details bei einzelnen Tönen hörbar werden. Ich sah die Zukunft bisher eher im Physical Modeling, aber hier bei der Vivaldi überzeugt mich das Sampling doch auf voller Linie und man merkt, dass es zumindest bei Serienorgeln doch noch nicht voll ausgereizt war.
Sicher spielt auch die Prozessortechnologie eine wesentliche Rolle, denn mit der "DS-Core+" Technik steht die Vivaldi eben eher in der LIVE-Familie, aber eben mit sechs festgelegten Orgeln. Die "DS-Core+" Technik ist leistungsstärker und skalierbarer als die frühere "OranjeCore"-Technik der kleineren Modelle (Studio, Opus, Sonique). Ein wenig wundere ich mich aber doch über den Preis. So liegt die Vivaldi 360 mit ihren ca. 20.000,- Euro Verkaufspreis auf gleichem Niveau wie die Johannus LiVE 3P, welche dann auch noch den schönen Spielschrank, die Registerzüge und eben die Möglichkeit zum Nachladen weiterer Samplesets bietet. Und die große Johannus LiVE III mit den LCD-Displays für die mit den Sets wechselnden Registernamen gibt es mittlerweile zu Preisen von „nur“ rund 4.000 Euro mehr. Und auch wenn man die kompaktere Konsolenform als Grund betrachtet, gäbe es hier mit den Modellen LiVE 2T und 3T Konkurrenz aus eigenem Haus.

Die Konsole
Der Spieltisch der neuen Vivaldi zeigt sich modern, mit einem Anflug von Cockpit-Design, durch die leicht angeschrägtem Seitenprofilen neben den unteren Manualen. Aber da steht sicher die ergonomische Idee des besseren Zugriffs auf die Registerwippen dahinter. Diese verteilen sich dann auch rundherum neben und über den Manualen. Dazu kommen zahlreiche Daumenpistons unter dem ersten und zweiten Manual. Die Konsole ist zwar nicht in Massivholz ausgeführt, wirkt aber trotzdem wertig und man kann zwischen verschiedenen Beizen (Farben) wählen. Zwei Schwellpedale runden den Spieltisch ab. Serienmäßig sind Fatar TP60LF Druckpunkt-Tastaturen verbaut. Diese können aber optional auch gegen die TP60LW (mit Holzkern) oder TP65LW (Holzkern und Holzauflage) getauscht werden. Ich gehe davon aus, dass man zum entsprechenden Aufpreis auch UHT-Tastaturen bekommt.
Die Klänge
Die Samplesets in der neuen Vivaldi 260/360 sind vielfältig und ermöglichen alle Stilrichtungen und Epochen: Bovenkerk Kampen (NL) | Hinsz Orgel | Norddeutscher Barock, Hofkirche Dresden (DE) | Silbermann | Süddeutscher Barock, Oude Kerk Amsterdam (NL) | Vater Müller | Niederländisch-Romantisch, Helligåndskirken Kopenhagen (DK) | Marcussen & Søn | Französisch Symphonisch, Mossley Hill Church Liverpool (EN) | Willis & Sons | Englisch-Romantisch, Church of the Epiphany Miami (VS) | Ruffati | Amerikanisch-Symphonisch.
Dass hier die Silbermann-Orgel der Hofkirche in Dresden, mit der man eher Karl Joseph Riepp, Johann Nepomuk Holzhey oder Joseph Gabler verbindet, für den Süddeutschen Barock steht, finde ich allerdings etwas ungewöhnlich. Denn Gottfried Silbermann steht wie auch beispielsweise Joachim Wagner oder Zacharias Hildebrandt für den Mitteldeutschen Barock, der sich deutlich vom Süddeutschen Barock unterscheidet. Auch steht die – zweifellos wunderschöne - Orgel in Kampen nicht unbedingt für den Norddeutschen Barock, bei dem man doch eher den Namen Arp Schnitger vor Augen hat. Aber das sind letztlich stilistische Spitzfindigkeiten, die natürlich nicht so wichtig sind wie die klanglichen Qualitäten der Samplesets selbst. Und die sind über jeden Zweifel erhaben. Hier findet jeder den Klang für seine stilistischen Vorlieben.
Durch das fantastische 10.1 Audio-System mit 17 Lautsprechern und 350-Watt-Bassverstärker werden die hervorragenden Klänge adäquat in Szene gesetzt. Die Lautsprecher sind sowohl seitlich wie auch nach oben abstrahlend positioniert. Dazu kommen Ambience-Lautsprecher oberhalb des dritten Manuals. Dieses Abstrahlsystem erzeugt einen transparentes und sehr räumliches Klangbild. Und auch bei der zweimanualigen Vivaldi 260 ist mit dem etwas kleiner dimensionierten 8.1-Audiosystem mit 13 Lautsprechern und ebenfalls dem 350-Watt-Bassverstärker ein vergleichbar guter Klangeindruck vorhanden.

Nicht unwesentlich für den guten Klang der Samplesets ist der Convolution Reverb mit 12 unterschiedliche Hallräumen und vier wählbaren Hörpositionen. Dieser Faltungshall lässt sich für jedes der Sets nutzen und kann damit den charakteristischen Sound einer Orgel in eine neue Umgebung bringen. Das kann durchaus die Wirkung eines Sets verändern und ist ein Unterschied etwa zu Hauptwerksamplesets mit der festgelegten Akustik des Instrumentes in seinem angestammten Raum. Und meine persönliche Erfahrung ist, dass oft mit zu viel Hall gespielt wird. Das kann man bei Hauptwerksets zwar nicht ändern, aber hier bei der Vivaldi ermöglicht es dagegen eine Anpassung. Zum Beispiel ist die Akustik der Dresdner Hofkirche (heute Kathedrale) schon immer für ihren gewaltigen Nachhall berühmt und berüchtigt. Da ist es interessant, diesen Hall hier einmal etwas zu reduzieren. Auch sollte man beim Üben und Einstudieren eher weniger Hall verwenden, um die Details des eigenen Spiels besser kontrollieren zu können. Vielleicht ist das auch ein Unterschied zur LIVE.
Wie heute bei fast allen Orgeln auch anderer Hersteller können mittels Ambient-Funktikon verschiedene Hörpositionen eingestellt werden. Abhängig von den Einstellungen wie Spieltisch, in der Mitte der Kirche oder hinten im Kirchenraum ist das räumliche Erlebnis unterschiedlich in der klanglichen Präsenz. Das man zusätzlich noch Solo- und Symphoniepakete für Orchester- und Soloinstrumente (z. B. Violine, Trompete) erwerben kann, ist dabei schon fast nebensächlich, steht doch der Orgelklang bei einem solchen Instrument im Vordergrund. Und der kann sich mit der neuen Vivaldi wirklich hören lassen.

Fazit
Die beiden neuen Vivaldi-Orgeln sind Johannus rundum gelungen und beide haben das Zeug, den Erfolg der Reihe weiterzuführen. Es sind wirklich überzeugende Instrumente, und mir persönlich gefällt auch das moderne Design ausgesprochen gut. Der Klang ist überzeugend, woran sowohl die Qualität der Samplesets, aber auch das beeindruckende Audio-System ihren Anteil haben. Bleibt ein bisschen die Frage, ob sich die in einem ähnlichen Preissegment wie die LiVE angesiedelte Vivaldi gegen die Konkurrenz aus eigenem Haus behaupten kann. Davon abgesehen ist das Preis-Leistungsverhältnis bei beiden Orgeln gemessen an dem, was man geboten bekommt, absolut fair. Die zweimanualige Vivaldi 260 gibt es ab 16.990,- Euro, die dreimanualige 360 ab 19.990,- Euro. Wer eine hervorragend klingende und stilistisch breit aufgestellte, hochwertige Digitalorgel sucht, der wird in der neuen Vivaldi absolut fündig.
Hans-Dieter Karras

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